Erstellt am: 04.02.2021
Südwestmetall: Tarifabschluss muss Mehrfachbelastung aus Abschwung, Corona-Krise und Transformation berücksichtigen
Holder: „Um unsere Arbeitsplätze zu erhalten, müssen wir alles daran setzen, die Krise gemeinsam zu meistern und unsere Betriebe wettbewerbsfähiger zu machen.“
REUTLINGEN / TÜBINGEN / BALINGEN / FREUDENSTADT / CALW – Die Produktion in der Metall- und Elektroindustrie (M+E) in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald ist immer noch weit entfernt vom Niveau vor der Corona-Krise und dem vorangegangenen Abschwung des Jahres 2019. Nach einer aktuellen Umfrage des Arbeitgeberbands Südwestmetall rechnet die Mehrzahl der Firmen nicht vor 2022 mit einer vollständigen wirtschaftlichen Erholung. Zudem stecken viele Unternehmen in einem tiefgreifenden, kostenintensiven Wandel – oder stehen unmittelbar davor. „Deshalb müssen wir jetzt alles einsetzen, um unsere Betriebe wieder auf die Beine zu bringen, sie wettbewerbsfähiger machen, damit der Wandel gelingt und Arbeitsplätze erhalten werden“, sagte der Vorsitzende der Südwestmetall-Bezirksgruppe Reutlingen, Martin Holder, am Donnerstag anlässlich eines Pressegesprächs in Reutlingen: „Das klappt nur, wenn wir ihnen in der laufenden Tarifrunde keine weiteren Kosten zumuten, ihnen Luft für die notwendigen Investitionen lassen.“
Nach Jahren des Wachstums ging es in der M+E-Industrie bereits 2019 bergab. Die Corona-Pandemie bescherte der Branche dann einen Absturz von historischem Ausmaß. Bundesweit hat die M+E-Industrie gegenüber 2018 fast ein Fünftel der Produktion verloren. Die Automobilindustrie etwa produzierte so wenige Fahrzeuge wie seit 45 Jahren nicht mehr. „Seit Mitte des Jahres geht es zwar für viele Firmen wieder aufwärts. Aber die ordentlichen Ergebnisse sind meist nicht nachhaltig, sondern die Folge harter Sparmaßnahmen“, sagte Holder. Nun kämen aufgrund des Infektionsgeschehens und der aktuellen Lockdown-Maßnahmen neue Unsicherheiten hinzu: „Wir müssten in diesem Jahr um rund 20 Prozent wachsen, nur, um wieder an das Vorkrisenniveau von 2018 anzuknüpfen. Das ist nicht zu schaffen.“
Dabei sei der mühsame Aufstieg aus dem Rezessions- und Corona-Tal nicht die einzige Herausforderung für die M+E-Unternehmen. „Viele Firmen erwarten enorme Umwälzungen im Zuge der Transformation. Manche stecken schon mittendrin, etwa in der Digitalisierung. Anderen steht der größte Berg noch bevor, zum Beispiel beim Umstieg auf klimaneutrale Produkte und Prozesse wie die Elektromobilität“, sagte Holder. Der Tarifabschluss müsse daher dazu beitragen, all diese Herausforderungen zu meistern: kurzfristig, um den Corona-Einbruch wieder aufzuholen, mittelfristig, um wieder an das Wachstum vor der Krise anzuknüpfen, langfristig, um die Transformation zu bewältigen: „Solange wir aber dem Rückstand hinterherlaufen, sehen wir keinen Spielraum für Lohnerhöhungen und Kostensteigerungen für die Betriebe.“
Laut der aktuellen Verbandsumfrage* ist in den vergangenen Monaten zwar die Kapazitätsauslastung wieder auf 80 Prozent gestiegen. Auch die Zahl der Firmen, die Kurzarbeit nutzen, und der Umfang der Kurzarbeit sind zurückgegangen. Allerdings rechnen die Firmen nur mit einem verhaltenen Umsatzwachstum von im Schnitt drei Prozent – nachdem der Umsatz im Vorjahr um 7,6 Prozent eingebrochen war. Knapp zwei Drittel der Unternehmen rechnet daher auch nicht damit, bereits in diesem Jahr wieder das Produktionsniveau von 2018 vor Corona und Rezession zu erreichen. Die Zahl der Firmen, die wegen Corona Kündigungen aussprechen mussten, hat in den letzten Monaten kontinuierlich zugenommen auf mittlerweile 13 Prozent. Im Saldo planen die Betriebe zudem, in diesem Jahr ihre Belegschaften zu verkleinern und weniger zu investieren.
Olaf Furtmeier, Geschäftsführer der Burkhardt + Weber Fertigungssysteme GmbH, sprach von einer Extremsituation für sein Unternehmen: „Die Corona-Krise hat bei uns zu einem deutlichen Auftrags-und Umsatzrückgang geführt. Dabei müssten wir gerade jetzt mehr denn je investieren, weil die Corona-Krise den Strukturwandel noch einmal beschleunigt hat.“ Es sei eine große Anstrengung, das bisherige Geschäft wieder auf Wachstumskurs zu bringen, so Furtmeier: „Denn nur damit verdienen wir das Geld, um in die Zukunft zu investieren und nebenher unser laufendes Geschäft zu optimieren. Hierfür muss man uns die Luft lassen. Schließlich sichern wir damit auch die Zukunft der Jobs unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“
Die Bizerba SE & Co. KG tätigt derzeit erhebliche Investitionen, sagte Vorstand und CEO Andreas Kraut: „Dies ist dringend erforderlich, um die digitale Transformation des Unternehmens in einem sehr dynamischen Umfeld voranzutreiben. Unsere Investitionen gehen dabei sowohl in die Verbesserung der internen Prozess- und Daten-Struktur, als auch in die Optimierung der Prozesse hin zum Kunden.“ Angesichts des stark softwaregetriebenen Wandels in der Branche gebe es zudem noch großen Investitionsbedarf in neue Geschäftsmodelle und digitale Lösungen, so der Unternehmer.
„Viele Firmen in ähnlicher Lage bräuchten wegen dieser Mehrfachbelastung eigentlich noch mehr finanziellen Spielraum als sonst“, sagte der Geschäftsführer der Südwestmetall-Bezirksgruppe Reutlingen, Dr. Jan Vetter: „Deshalb müssen wir auch an die Arbeitskosten ran. Da sehen wir gerade in Baden-Württemberg auch Chancen in der Tarifpolitik. Denn hier gibt es etliche tarifliche Sonderleistungen, die die Arbeit noch teurer machen als im Rest der Republik.“
Holder und Vetter verwiesen auch auf die von Betrieb zu Betrieb komplett unterschiedliche Situation: „Einigen wenigen Firmen geht es selbst jetzt richtig gut. Andere leiden enorm unter der Krise. Und wieder Anderen droht die Transformation fast das gesamte bisherige Geschäftsmodell wegzuspülen.“ Auch für diese Vielfalt müsse der Flächentarif künftig bessere, individuellere Lösungen anbieten: „Unser Lösungsvorschlag hierzu lautet: Eine im Flächentarif geregelte Differenzierung, die die Betriebsparteien unbürokratisch umsetzen können. Und eine Variabilisierung zum Beispiel von Sonderzahlungen, die den Firmen in angespannten Zeiten Entlastung verschafft, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in guten Zeiten aber auch stärker am Erfolg beteiligen könnte.“
*An der Umfrage vom 25. Bis zum 29. Januar 2021 haben sich 347 Betriebe mit knapp 337.000 Beschäftigten beteiligt. Es war die insgesamt 5. Corona-Umfrage von Südwestmetall – nach den Befragungen im April, Mai, Juni und Oktober.
Infos zu SÜDWESTMETALL:SÜDWESTMETALL ist der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg. Er ist kompetenter Ansprechpartner für Unternehmen in arbeits- und sozialrechtlichen, tarifvertraglichen und sozialpolitischen Fragen. SÜDWESTMETALL ist Sprachrohr für seine Mitgliedsbetriebe gegenüber Gewerkschaft, Staat und Öffentlichkeit. Zusammen mit dem Sozialpartner vereinbart SÜDWESTMETALL in Tarifverträgen die Bedingungen der Arbeitsverhältnisse.
Die Bezirksgruppe Reutlingen von SÜDWESTMETALL und des tarifungebundenen Unternehmensverbandes Südwest betreut in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen, Calw, Freudenstadt, Zollernalb und im nördlichen Teil des Landkreises Sigmaringen mehr 230 Betriebe mit rund 57.000 Mitarbeitern.